Im Herzen von Köln, wo das moderne Leben über die Bürgersteige summt, markieren kleine Messingplatten im Kopfsteinpflaster still die Vergangenheit. Diese Stolpersteine tragen die Namen der Opfer des NS-Regimes und befinden sich an den Orten, an denen sie einst frei lebten – bevor ihnen alles genommen wurde. Mit über 100.000 Plaketten in ganz Europa bilden sie das größte dezentrale Mahnmal der Welt. Und doch verschwinden sie im Alltagstrubel oft aus dem Blickfeld.
Das änderte sich im Jahr 2022, als der WDR, einer der größten öffentlich-rechtlichen Rundfunksender Deutschlands, sein erfolgreiches Projekt „Stolpersteine NRW“ startete.Seit dem Start der App im Januar 2022 können Nutzerinnen und Nutzer historische Orte über Augmented-Reality-(AR)-Gedenktouren erkunden. Im Jahr 2024 erweiterte der WDR dieses Erlebnis in Zusammenarbeit mit dem Berliner Start-up ZAUBAR um eine interaktive AR-Funktion – und eröffnete damit eine neue, immersive Form des Gedenkens, die auf dem ursprünglichen Konzept aufbaut. Die Software-Komponente von ZAUBAR verbesserte die AR-Funktionalität sowie die Nutzerbindung weiter.
Am ehemaligen Hauptsitz der Kölner Gestapo – heute Sitz des NS-Dokumentationszentrums – können Besucher:innen fünf kurze AR-Touren direkt auf ihrem Smartphone erleben. Diese multimedialen Erlebnisse kombinieren lebendige 3D-Illustrationen, historische Fotografien und kurze Audiosequenzen, die nahtlos in das Live-Kamerabild und die Umgebung integriert werden. So entsteht ein kraftvoller Moment der Präsenz: Die Vergangenheit wird direkt über die Gegenwart gelegt.
Die App bietet nun zwei unterschiedliche AR-Modi. Der erste ist ortsgebunden. An Orten wie dem NS-Dokumentationszentrum in Köln können Nutzer:innen erkunden, wo Geschichte geschah. Diese Touren konzentrieren sich nicht auf einzelne Stolpersteine, sondern auf den breiteren Kontext von Verfolgung und Widerstand an diesen Orten. Weitere AR-Erlebnisse für andere Schlüsselorte in Nordrhein-Westfalen, insbesondere Orte mit Bezug zu Deportationen, sind bereits in Entwicklung.
Der zweite Modus ist ortsunabhängig und dreht sich um die Stolpersteine selbst. Nutzer:innen können hier einen spezifischen Stolperstein auswählen und virtuell vor sich platzieren – sei es zu Hause, im Klassenzimmer oder anderswo. Sie können sogar eine virtuelle Kerze daneben anzünden, um Raum für persönliche Reflexion zu schaffen – unabhängig vom Standort. Diese Erinnerungsfunktion erweitert die Möglichkeiten des Gedenkens über physische Grenzen hinaus.
ZAUBAR, ein Berliner Start-up, unterstützte den WDR bei der technischen Entwicklung der AR-Funktionen. Auch wenn die AR-Inhalte nur ein Teil der App sind, spielen sie eine bedeutende Rolle bei der Vertiefung der Nutzererfahrung. In enger Zusammenarbeit mit dem WDR brachte ZAUBAR seine Expertise in ortsbasierter AR ein, um sicherzustellen, dass jede Szene authentisch und verankert wirkt. Dabei wird ein visuelles Positionierungssystem verwendet, um digitale Inhalte präzise mit realen Umgebungen abzugleichen.
Wichtig ist, dass Stolpersteine NRW inklusiv und barrierefrei gestaltet wurde. Bildschirmleser-Kompatibilität, intuitive Navigation und ein geführtes Tutorial ermöglichen Nutzer:innen mit unterschiedlichsten Hintergründen einen vollen Zugang zum Erlebnis. Zudem speichert die App den Fortschritt, sodass man flexibel im eigenen Tempo erkunden kann.
Für Pädagog:innen und jüngere Zielgruppen wird das Gedenken durch die App zu einem erlebbaren, realen Moment. Durch die Verbindung von Journalismus, Storytelling und interaktiven Medien haben der WDR und ZAUBAR etwas geschaffen, das mehr ist als nur eine App – es ist eine Brücke zwischen den Generationen.
Im Kern steht ein gemeinsames Ziel: Technologie nicht zur Ablenkung von der Geschichte zu nutzen, sondern um sie näherzubringen. Durch eine durchdachte Zusammenarbeit haben der WDR und ZAUBAR Stolpersteine NRW in ein lebendiges Archiv verwandelt – in dem einst fast vergessene Geschichten auf persönliche und eindringliche Weise erinnert werden können.
Die App ist für iOS und Android verfügbar – weitere Städte und Geschichten folgen bald. Denn Gedenken bedeutet nicht nur zurückzublicken – sondern Erinnerung weiterzutragen.